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Betriebliche Übung im Arbeitsrecht

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Richterin beim Arbeitsgericht

Betriebliche Übung: Gewohnheit wird zu Recht


Die betriebliche Übung  ist ein wichtiges Konzept im deutschen Arbeitsrecht, das sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber von großer Bedeutung sein kann. Es beschreibt die Situation, in der durch regelmäßiges Verhalten des Arbeitgebers ein Rechtsanspruch für die Arbeitnehmer entstehen kann, ohne dass dies explizit vertraglich vereinbart wurde.


Die betriebliche Übung basiert auf dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Vertrauensschutz. Wenn ein Arbeitgeber bestimmte Leistungen oder Vergünstigungen wiederholt und ohne ausdrücklichen Vorbehalt gewährt, können Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass diese Praxis auch in Zukunft fortgeführt wird. Dies kann zu einem rechtlich durchsetzbaren Anspruch führen.


Typische Beispiele für betriebliche Übungen sind regelmäßige Sonderzahlungen, zusätzliche Urlaubstage oder Betriebsfeiern. Die Entstehung einer betrieblichen Übung kann für Arbeitgeber unbeabsichtigte Folgen haben, während sie Arbeitnehmern zusätzliche Rechte einräumen kann. Daher ist es für beide Seiten wichtig, die Grundlagen und Auswirkungen dieses Rechtsprinzips zu verstehen.

Definition und rechtliche Grundlage

Die betriebliche Übung ist ein ungeschriebenes Rechtsinstitut, das sich aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelt hat. Es basiert auf dem Gedanken, dass durch wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers bei den Arbeitnehmern ein berechtigtes Vertrauen entstehen kann, dass dieses Verhalten auch in Zukunft fortgesetzt wird. Rechtlich stützt sich die betriebliche Übung auf § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der den Grundsatz von Treu und Glauben festlegt. Dieser Grundsatz besagt, dass Vertragsparteien sich so verhalten müssen, wie es die andere Partei nach Treu und Glauben erwarten darf.


Voraussetzungen


Damit eine betriebliche Übung entsteht, müssen in der Regel folgende Voraussetzungen erfüllt sein:


  1. Regelmäßigkeit: Die Leistung oder Vergünstigung muss wiederholt und über einen längeren Zeitraum gewährt werden.

  2. Vorbehaltlosigkeit: Der Arbeitgeber darf keinen ausdrücklichen Vorbehalt erklärt haben, dass kein Rechtsanspruch entstehen soll.

  3. Gleichmäßigkeit: Die Leistung muss allen Arbeitnehmern oder einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmern in gleicher Weise gewährt werden.

  4. Erkennbarkeit: Für die Arbeitnehmer muss erkennbar sein, dass es sich um eine zusätzliche Leistung handelt.


Beispiele für betriebliche Übung

Betriebliche Übungen können in verschiedenen Bereichen entstehen:


  • Regelmäßige Weihnachtsgratifikationen oder Jahresboni

  • Zusätzliche Urlaubstage über den gesetzlichen Anspruch hinaus

  • Jährliche Betriebsfeiern oder Ausflüge

  • Jubiläumszuwendungen für langjährige Mitarbeiter

  • Regelmäßige Gehaltserhöhungen zu bestimmten Zeitpunkten

  • Gewährung von Fahrkostenzuschüssen oder anderen Nebenleistungen


Rechtliche Wirkung


Ist eine betriebliche Übung entstanden, hat sie die gleiche rechtliche Wirkung wie eine vertragliche Vereinbarung. Das bedeutet:

  • Arbeitnehmer haben einen einklagbaren Anspruch auf die Leistung.

  • Der Anspruch gilt auch für neue Mitarbeiter, die nach Entstehung der betrieblichen Übung eingestellt wurden.

  • Die Leistung kann nicht einseitig vom Arbeitgeber widerrufen oder geändert werden.


Beendigung einer betrieblichen Übung


Eine einmal entstandene betriebliche Übung zu beenden, ist für Arbeitgeber nicht einfach. Möglichkeiten sind:


  1. Einvernehmliche Änderung: Arbeitgeber und Arbeitnehmer einigen sich auf eine Änderung oder Beendigung der Leistung.

  2. Änderungskündigung: Der Arbeitgeber kündigt das Arbeitsverhältnis und bietet gleichzeitig einen neuen Vertrag ohne die betreffende Leistung an.

  3. Ablösende Betriebsvereinbarung: In Betrieben mit Betriebsrat kann eine Betriebsvereinbarung die betriebliche Übung ablösen.

  4. Freiwilligkeitsvorbehalt: Für zukünftige Leistungen kann der Arbeitgeber einen ausdrücklichen Freiwilligkeitsvorbehalt erklären.


Drei-Jahres-Rechtsprechung


Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Rechtsprechung die sogenannte Drei-Jahres-Regel entwickelt. Demnach entsteht in der Regel eine betriebliche Übung, wenn eine Leistung dreimal in Folge ohne Vorbehalt gewährt wurde. Diese Regel ist jedoch nicht starr, sondern dient als Orientierung. In Einzelfällen kann eine betriebliche Übung auch schneller entstehen oder mehr Zeit benötigen.


Betriebliche Übung und Tarifverträge


In tarifgebundenen Unternehmen kann das Verhältnis zwischen betrieblicher Übung und Tarifvertrag komplex sein. Grundsätzlich gilt:


  • Eine betriebliche Übung kann nicht gegen zwingende Tarifnormen verstoßen.

  • Sie kann aber über den Tarifvertrag hinausgehende Leistungen begründen.

  • Bei Änderungen des Tarifvertrags kann sich die Frage stellen, ob die betriebliche Übung angepasst werden muss.


Dokumentation und Beweislast


Im Streitfall liegt die Beweislast für das Vorliegen einer betrieblichen Übung beim Arbeitnehmer. Dieser muss nachweisen, dass die Voraussetzungen erfüllt sind. Daher ist es für Arbeitnehmer wichtig, relevante Unterlagen und Informationen zu sammeln und aufzubewahren.Arbeitgeber sollten ihrerseits sorgfältig dokumentieren, wenn sie Leistungen unter Vorbehalt gewähren oder Änderungen vornehmen.


Internationaler Kontext

In einer globalisierten Arbeitswelt ist zu beachten, dass das Konzept der betrieblichen Übung eine Besonderheit des deutschen Arbeitsrechts ist. In anderen Ländern gibt es oft keine vergleichbaren Regelungen. Dies kann bei internationalen Unternehmen oder Fusionen zu Herausforderungen führen.


Praxistipps für Arbeitnehmer


  1. Dokumentieren Sie regelmäßige Leistungen des Arbeitgebers sorgfältig.

  2. Achten Sie auf Formulierungen in Mitteilungen des Arbeitgebers bezüglich zusätzlicher Leistungen.

  3. Sprechen Sie mit Kollegen, um festzustellen, ob Leistungen gleichmäßig gewährt werden.

  4. Bei Unklarheiten: Holen Sie rechtlichen Rat ein, z.B. bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht oder Ihrer Gewerkschaft.


Praxistipps für Arbeitgeber


  1. Verwenden Sie bei freiwilligen Leistungen stets einen klaren Freiwilligkeitsvorbehalt.

  2. Überprüfen Sie regelmäßig Ihre Praxis bezüglich zusätzlicher Leistungen.

  3. Dokumentieren Sie Entscheidungen und Kommunikation zu freiwilligen Leistungen sorgfältig.

  4. Bei geplanten Änderungen: Holen Sie frühzeitig rechtlichen Rat ein.


Wichtige Begriffe: Betriebliche Übung


  • Rechtsanspruch

  • Treu und Glauben

  • Vertrauensschutz

  • Sonderzahlungen

  • Bundesarbeitsgericht

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

  • Regelmäßigkeit

  • Vorbehaltlosigkeit

  • Gleichmäßigkeit

  • Freiwilligkeitsvorbehalt

  • Drei-Jahres-Regel

  • Änderungskündigung

  • Ablösende Betriebsvereinbarung

  • Tarifvertrag

  • Beweislast



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Dr. Michael Thorn  Rechtsanwalt
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Beatrice v. Wallenberg  Rechtsanwältin und  Fachanwältin für Arbeitsrecht
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